Institut für Volkskunde
der Deutschen des östlichen Europa
IVDE Freiburg
 
Integration und religiöse Kultur: Wallfahrtsveranstaltungen der Flüchtlinge und Vertriebenen in Südwestdeutschland
Wallfahrtstag der Heimatvertriebenen, Aussiedler und ausländischen Mitbürger in Walldürn, Juni 2015.

Wallfahrtsveranstaltungen sind für viele Flüchtlinge und Vertriebene nach der Ankunft in den westlichen Besatzungszonen sowohl in spiritueller wie auch in soziokultureller Hinsicht wichtig gewesen: Sie bestanden nicht allein aus Gottesdiensten und Gebetsstunden, sondern wurden oft mit Ansprachen behördlicher und politischer Repräsentanten und immer mit spezifischen Brauchformen angereichert, in und mit denen bestimmte Traditionen aus den Herkunftsgebieten aufgegriffen und fortgesetzt wurden (Kleidungs-
verhalten, Lieder, Musikstücke). Diese differenzierten Programm-
abläufe und der zum Teil hochfrequentierte Besuch mit mehreren zehntausenden Teilnehmern erklären sich zunächst vor allem daraus, dass Wallfahrten als religiös bestimmte Zusammenkünfte nicht unter die politisch begründeten Versammlungsrestriktionen der Siegermächte fielen, so dass sich hier die Flüchtlinge und Vertriebenen untereinander in großer Zahl treffen konnten. Nachweisbar war es an den Wallfahrtstagen auch möglich, spezifische Informationen zur neu geforderten Alltagsbewältigung auszutauschen, etwa zu genossen-
schaftlichen Möglichkeiten des Wohnungsbaus in den Ankunfts-
gemeinden. Wie im Titel angedeutet, konzentriert sich die Untersuchungsarbeit räumlich auf die Umrisse des nachmaligen Bundeslandes Baden-Württemberg, insbesondere auf Nordbaden mit dem hochfrequentierten Zentrum Walldürn. Zeitlich wird sie in drei Phasen unterteilt: (1.) Die ersten Jahre nach der Ankunft bis zur Gründung der Bundesrepublik Deutschland (1945–1949); (2.) die Jahre der Konsolidierung der Bundesrepublik Deutschland und des neuen Bundeslandes Baden-Württemberg (1949/1952–1965); (3.) die Zeit bis zur Gegenwart. Untersuchungen zur ersten und zweiten Phase des Projektes konnten bis 2015 (Tagungsveranstaltung im IVDE Freiburg) weitgehend abgeschlossen werden. In einer weiteren Arbeitsphase soll dazuhin die Entwicklung der Wallfahrtsveranstaltungen nach der Mitte der 1960er-Jahre fokussiert werden. Die Basisaufgaben dieses Projektes zielen zunächst auf die pure Zusammenstellung der Ereignisse und auf die Beschreibung der empirisch nachvollziehbaren, äußeren phänomenologischen Struktur, sodann wahlweise auf die Analyse der in den Quellen dokumentierten Motive und Ausdrucksformen. Neben den umfangreichen Quellensammlungen des IVDE Freiburg (im Bestand "HV-Wallfahrten"; im Nachlass Karasek sowie in der Zeitungs- und Zeitschriftensammlung der IVDE-Bibliothek) kommen einschlägige Bestände (Schriftdokumente) aus dem Erzbischöflichen Archiv Freiburg, dem Zentral-Archiv der Caritas in Freiburg sowie der Universitätsbibliothek Freiburg zur Auswertung.

Publikationen (Auswahl)

Magyarországi németek búcsújárásai a II. világháború után [Wallfahrten der Ungarndeutschen nach dem II. Weltkrieg, üversetzt von Csilla Schell]. In: László Mód/András Simon (Hg.): Olvasó: tanulmányok a 60 esztendős Barna Gábor tiszteletére [Festschrift Gábor Barna zum 60. Geburtstag], Szeged 2010, S. 62–70.

Heimatvertriebenen-Wallfahrten: Aspekte volkskundlicher Erforschung unter besonderer Berücksichtigung der Erzdiözese Freiburg und der Donauschwaben. In: Benedikt Kranemann (Hg.): Liturgie und Migration. Zur Bedeutung von Liturgie und Frömmigkeit bei der Integration von Migranten im deutschsprachigen Raum, Stuttgart 2012, S. 188–216.

Pilgrimage Events for the Hungarian Germans / Danube Swabians in the north of the archbishopric of Freiburg after World War II: Walldürn and the "Paulusheim" near Bruchsal. In: Gábor Barna/ Kinga Povedák (eds.): Spirituality and spiritual movements in Hungary and Eastern Central Europe (Bibliotheca Religionis Popularis Szegediensis), Szeged 2014, S. 315–325.

Forschungen und Forschungsmöglichkeiten mit dem Nachlass Karasek im IVDE Freiburg. Neuere Ergebnisse und Befunde. In: Hans-Werner Retterath (Hg.): Zugänge. Volkskundliche Archiv-Forschung zu den Deutschen im und aus dem östlichen Europa (Schriftenreihe des IVDE, 16), Münster 2015, S. 159–193.

Ankunft und Integration der ungarndeutschen Vertriebenen in Südwestdeutschland 1946–1960. In: Frank Spengler/Bence Bauer (Hg.): Integration oder weitere Diskriminierung? Die Lage der Deutschen im Karpatenbecken in den 1950er-Jahren, Budapest 2016, S.&nbasp;11–25.

Vorträge

Wallfahrtsorte, Gefährdungsbewusstsein und Bildzeugnisse. Internationale wissenschaftliche Tagung "Volksreligiosität im mitteleuropäischen Kontext. Aspekte der Ethnologie und Folkloristik"/ "Ľudová religiozita v stredoeurópskom kontexte. Pohľady etnológie a folkloristiky"/"A népi vallásosság közép-európai kontextusban. Etnológiai és folklorisztikai aspektusok". Forschungszentrum für Europäische Ethnologie Komarno/Komárom, Slowakei, 28.10.2017.

Wallfahrt und Votivwesen. Jahresversammlung des "Gerhardswerks" in Stuttgart, 23.09.2017.

Heimatvertriebenen-Wallfahrten – ihre Bedeutung bei der Integration vom Migranten im deutschsprachigen Raum. Tagung "Flucht, Trauma und Traumabewältigung: Interdisziplinäre Ansätze in der Traumabewältigung als erster Schritt zur Vergebung und Versöhnung", Caritas-Tagungszentrum Freiburg, 25.03.2017.

Ankunft, Notlagen und Integration der Ungarndeutschen in Süddeutschland nach 1945 – Aspekte aus der Alltags- und Festtagskultur. Woche der deutschen Kultur an der ELTE-Universität Budapest, 09.11.2016.

Ankunft und Integration der ungarndeutschen Vertriebenen in Südwestdeutschland 1946–1960. Internationales Symposium der Konrad-Adenauer-Stiftung und der Landesselbstverwaltung der Ungarndeutschen in Zusammenarbeit mit der Ungarischen Akademie der Wissenschaften, Kongresszentrum Budaörs/Ungarn, 19.01.2016.

Aspekte der Wallfahrt der Heimatvertriebenen und Aussiedler nach Walldürn. Thementag "70. Wallfahrt der Heimatvertriebenen Walldürn. Themen und Felder der volkskundlich-kulturanthropologischen Frömmigkeitsforschung", IVDE Freiburg, 22.06.2015.

Projekt von: Michael Prosser-Schell
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